Keine Videokonferenz - das ist selten in Corona- Zeiten, Siemens-Chef Joe Kaeser wollte den letzten Schritt des Konzernumbaus wohl unbedingt persönlich erläutern. Mit Finanzchef Ralf Thomas und Christian Bruch, Chef der Energiesparte, die im September an die Börse gehen soll, präsentierte Kaeser die Details der von ihm initiierten größten Abspaltung in der Konzerngeschichte: Siemens Energy (SE) stellt mit fast 30 Milliarden Euro Umsatz und 91 000 Mitarbeitern mehr als ein Drittel des gegenwärtigen Konzerns dar. Laut Thomas ein solide durchfinanziertes Unternehmen, das sich im Wachstumsmarkt behaupten wird.

Die dargelegten Kennziffern bescheinigen SE denn auch eine Eigenkapitalquote von rund 38 Prozent, beim Start gut zwei Milliarden Euro Nettocash sowie, Stand Ende März, 81 Milliarden Euro an Orders in den Büchern. Laut SE-Chef Bruch wächst der Markt, die weltweit installierte Energieleistung soll sich bis 2040 verdoppeln.

Ob Siemens-Aktionäre, die beim Spin-off am 28. September eine SE-Aktie für je zwei Siemens-Papiere ins Depot gebucht bekommen, die reine Freude erleben werden? Im Quartal zum Ende März schrieb SE - auch wegen der Kosten der Abspaltung - Verluste. Der Großteil des Geschäfts ist fossil. Der Bereich Gas & Power, der Gasturbinen, Kraftwerke und Förderausrüstung bereitstellt, wird seit Jahren restrukturiert. Immerhin 30 Prozent des SE-Geschäfts ist grün: Der Windkraftkonzern Siemens Gamesa (SGRE), der selbstständig gemanagt wird, ist dank 67-Prozent-Anteil voll in der Bilanz konsolidiert. Hier hat sich indes eine Schwäche bei Onshore-Windanlagen breitgemacht. Zuletzt schrieb SGRE hohe Verluste.

Die operativen Flausen könnten dazu führen, dass die Dividendenpolitik, die der künftige SE-Aufsichtsratschef Kaeser analog zu jener der Siemens AG aufgesetzt hat, zunächst ein leeres Versprechen ist: 40 bis 60 Prozent des Nettogewinns soll SE ausschütten. Angesichts der Konjunkturflaute darf bezweifelt werden, dass im Geschäftsjahr ab Oktober Nennenswertes für Anleger herausspringt. Später aber dürften die Restrukturierungen die Renditen steigern.

Zudem birgt die Bilanz Tücken: Da wäre der Goodwill in Höhe von 9,7 Milliarden Euro. Der Firmenwert stammt auch vom 2014 teuer eingekauften US-Ölausrüster Dresser-Rand. Es besteht das Risiko hoher Abschreibungen, wodurch sowohl die gelobte Eigenkapitalquote als auch das derzeit angestrebte Kreditrating im Investment Grade ins Rutschen geraten könnten.

Rendite soll steigen

Was SE den Siemens-Aktionären bringt? Zunächst wohl Kursturbulenzen der SE-Aktie. Viele Institutionelle sowie ETFs müssen sie verkaufen. Siemens selbst will seinen Anteil von zunächst 45 Prozent sukzessive abschmelzen. Kaesers Argument für den Spin-off: Die Börsennotiz der Energietochter wird, ähnlich wie bei der Medizintechnik Healthineers, Werte transparent machen. Das neue Siemens, also digitale Industrie, smarte Infrastruktur und Verkehrstechnik, weise eine höhere operative Rendite aus. Und das dürfte der Siemens-Aktie zugutekommen.

Werte: Die Summe der Teile ist mehr wert als das Ganze - darauf setzt Siemens per Spin-off. Die Rendite des Kerngeschäfts steigt.

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