"Das nächste Jahr wird schwierig, aber es ist Licht am Ende des Tunnels zu sehen", sagt Stefan Bratzel, Leiter des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. Auch Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler sieht 2016 als Jahr der Aufarbeitung für VW. Die wichtigste Aufgabe werde sein: "Man muss die Kunden zurückgewinnen."

VW unter neuer Führung traut der Autoexperte zu, sich die zuletzt gesunkenen Marktanteile zurückzuholen - zur Not mit höheren Preisnachlässen. Der Konzern habe zuletzt "ganz ordentlich an der Preisschraube gedreht". Absatzminus und Rabatte dürften auf den Gewinn drücken, aber selbst einen Rückgang in Milliardenhöhe halten die Experten für beherrschbar. Frank Schwope, Analyst bei der NordLB, geht davon aus, dass der Zwölf-Marken-Konzern in diesem und im kommenden Jahr ohne Verlust aus der Sache herauskommt. Das kurze Gedächtnis der Kunden und die Erholung des wichtigsten Konzernmarktes China werden Volkswagen nach Einschätzung der Branchenkenner zupasskommen.

Auf der ersten großen Pressekonferenz seit Ausbruch des Abgasskandals präsentierten Konzernchef Matthias Müller und Aufsichtsratsvorsitzender Hans Dieter Pötsch jüngst einen Fahrplan, wie sie Dieselgate aufklären, die Folgen bewältigen und zugleich noch die Krise als Chance zur grundlegenden Neuaufstellung des Riesenunternehmens mit rund 600.000 Mitarbeitern nutzen wollen. Im grünen Bereich sehen sich die Wolfsburger aber noch nicht. "Es wäre zu früh zu sagen, man hat nach zehn Wochen alles im Griff", sagt ein Konzernsprecher, "aber wir sind auf dem Zielkorridor." Alle Scherben aufzukehren, braucht schon deshalb Zeit, weil der größte deutsche Industriekonzern 2015 in seinen Grundfesten erschüttert wurde. Im Frühjahr tobte ein wochenlanger Machtkampf zwischen Vorstandschef Martin Winterkorn und Aufsichtsratsvorsitzendem Ferdinand Piech. Im Herbst fegte das Auffliegen der Manipulation von Millionen Diesel-Autos Winterkorn aus dem Amt und stürzte die Traditionsfirma in die tiefste Krise ihrer Geschichte.

Als oberstes Ziel für das kommende Jahr nennt VW, die elf Millionen betroffenen Diesel-Fahrzeuge in Ordnung zu bringen. Das sei wichtiger als die Frage, welche Ingenieure oder Manager die Manipulation zu verantworten haben, heißt es in Wolfsburg. Die erste Konfrontation mit den Käufern muss Konzernchef Müller Mitte Januar auf der Automesse in Detroit überstehen. Die Umweltbehörden der Vereinigten Staaten waren dem Betrug auf die Schliche gekommen, den Volkswagen lange abgestritten hatte.





VW-CHEF WILL SICH IN DEN USA REUIG UND SELBSTBEWUSST ZEIGEN

Der US-Markt war vor allem für die Kernmarke Volkswagen schon lange ein schwieriges Pflaster, nun könnte der Imageschaden kaum größer sein. Konzernchef Müller wagte sich bisher noch nicht in die Höhle des Löwen, im Kongress musste sich US-Chef Michael Horn von empörten Abgeordneten in die Mangel nehmen lassen. Nun will Müller die Flucht nach vorne antreten, auf der Messe und anschließenden Terminen in Washington. Auf die Knie fallen werde er nicht, kündigte der Manager an. "Ich werde mich natürlich noch einmal für die Dinge entschuldigen", betonte er. "Aber ich werde auch optimistisch und selbstbewusst den Blick nach vorne richten."

So geht Müller - wie auch die Experten - davon aus, dass der Skandal nur einen kleinen Knick beim Pkw-Absatz zur Folge haben wird. Das Schielen auf Stückzahlen und immer neue Verkaufsrekorde ergebe für ihn ohnehin wenig Sinn, sagte er der "Wirtschaftswoche". Ob VW "Nummer eins, zwei oder drei beim Volumen" sei, "das ist mir egal". Führend in der Branche wolle man nach wie vor sein, dies werde aber jetzt anders definiert.

Schwerer als Rückgänge beim Absatz wiegen für Fachleute die noch unkalkulierbaren Kosten für milliardenschwere Schadenersatzklagen. Auch könnte die Kompensation für die Kunden teuer werden, wenn VW zu einem Rückkauf gezwungen werden sollte. Bisher hat der Konzern 6,5 Milliarden Euro für die Rückrufkosten weltweit zurückgelegt, die in diesem Jahr zu Buche schlagen. "Teuer wird es auf jeden Fall", sagt Pieper mit Blick auf die Schadenersatzklagen. Mehr als 30 Milliarden Euro könnten es werden, schätzt der Autoexperte, womöglich sogar bis zu 50 Milliarden, allerdings verteilt über viele Jahre. Selbst in dieser Größenordnung sei dies für VW kein Problem, weil der Konzern viel Geld auf der hohen Kante und große Kreditlinien habe. Außerdem gehe das Geschäft trotz Dieselgate weiter.

Reuters