MICROSOFT VS. ALPHABET Die Tech-Giganten liefern sich ein bahnbrechendes KI-Wettrüsten. Welche Aktie profitiert? Silicon-Valley-Experte Thomas Rappold verrät die Insides.

Seit Microsofts KI-Offensive mit dem Chatbot ChatGPT von OpenAI ist das Feuer im Silicon Valley wieder entflammt. Bei Alphabet schrillten die Alarmglocken, nun geht auch die Google-Mutter in die Vollen. Das KI-Wettrüsten ist in vollem Gange. Beinahe täglich liefern die beiden Konzerne neue Schlagzeilen, und die Fortschritte im Bereich künstliche Intelligenz scheinen unaufhaltsam. Kurz nachdem vergangene Woche Bilder auftauchten, die die Integration von ChatGPT in Microsofts Suchmaschine Bing zeigten, legte Google nach und kündigte eine riesige KI-Initiative an. Geplant ist unter anderem ein eigener Chatbot namens Bard sowie die Integration von KI-Funktionen in die Suchmaschine. Trotz bahnbrechender Innovationen sind gigantische Kurssprünge bei beiden Aktien bisher ausgeblieben. Was können Anleger erwarten? Wer wird das KI-Rennen gewinnen? Auf welche Aktie sollte man setzen? Wir haben beim Tech-Experten Thomas Rappold nachgefragt, der mit einer eindeutigen Antwort überrascht und spannende Insides verrät.

Interview zu KI mit Thomas Rappold

BÖRSE ONLINE: Microsoft und Alphabet machen gerade täglich mit neuen KI-Ankündigungen Schlagzeilen. Gigantische Kurssprünge sind bisher aber ausgeblieben. Wieso?

Thomas Rappold: Die Anleger wissen im Moment zu wenig, das gigantische Potenzial ist noch schwer greifbar. Wie lässt sich die KI letztlich monetarisieren? Wie viel Substanz steckt dahinter? Bill Gates sagt, dass wir kurzfristige Ereignisse meist überschätzen und langfristige unterschätzen. Wir unterschätzen das längerfristige KI-Potenzial dieser Aktien noch kolossal. Das sollte man bei diesen Wertpapieren jetzt nutzen.

Die beiden Konzerne liefern sich ein wahres KI-Wettrüsten. Wer wird das Rennen für sich entscheiden? Auf welchen Spieler sollten Anleger setzen?

Die Frage ist: Bekämpfen sich die beiden wirklich so sehr, oder sollen wir das nur denken? Klar: Das ist jetzt extrem spannend, und endlich ist diese Wettbewerbsmentalität wieder da, die die Amerikaner so lieben. Jahrelang war es relativ ruhig im Silicon Valley. Und plötzlich haben Microsoft und OpenAI mit ChatGPT diese Stille durchbrochen. Das hat Alphabet zum Handeln gezwungen. Die forschen schon lange an KI, haben aber vieles unter Verschluss gehalten, vielleicht die Konkurrenz unterschätzt. Alphabet hat eigentlich die bessere Datenbasis und die besseren KI-Experten. Ihr KI-Potenzial haben sie schlecht verkauft — ChatGPT war der notwendige Weckruf. Vieles im Bereich KI wird nun sehr, sehr zügig passieren, aber beide Unternehmen agieren dabei in ganz unterschiedlichen Bereichen.

Stecken Microsoft und Alphabet hinter den Kulissen also gar nicht im KI-Kampf? 

Ganz ehrlich: Vielleicht sitzen Microsoft-CEO Satya Nadella und Google-CEO Sundar Pichai in diesem Moment zusammen beim Kaffee und bedanken sich für das kostenlose Marketing. Temporär kommen sie sich vielleicht ins Gehege, langfristig haben sie ganz unterschiedliche Anwendungsfälle. Microsoft hat den Softwarebereich und die Office-Anwendungen — von Excel, PowerPoint und Word bis hin zu Teams, in denen es KI implementiert. Bei Teams etwa soll sie zu einer Art virtuellem Assistenten werden. Und natürlich ergeben sich bei Microsofts Cloud-Dienst Azure mit KI nun enorme Potenziale. Amazon als noch führender Cloud-Anbieter hat in den vergangenen Jahren viel durch den First-Mover-Vorteil profitiert, das könnte sich nun ändern. Im jüngsten Quartalsbericht stellt Microsoft hier dreistellige Wachstumsraten in Aussicht, das wird der Cloud-Wachstumstreiber schlechthin.

Aber kommt Alphabet als drittgrößter Cloud-Anbieter Microsoft mit KI hier jetzt nicht in die Quere?

Google hat bei der Cloud eine andere Kundengruppe: vor allem Start-ups und Firmen, die weniger sicherheitskritisch sind. Microsoft konzentriert sich auf die wirklich Großen — etwa Regierungen oder Banken. Google hat noch andere Bereiche, bei denen die KI zum Einsatz kommt. Etwa Youtube, Google Maps und natürlich auch die Suchmaschine.

Apropos Suchmaschine: Kurz sah es aus, als könnte Microsoft durch die Integration von ChatGPT in die Suchmaschine Bing Google Konkurrenz machen. Nun kündigte Google den hauseigenen Chatbot Bard sowie dessen Einsatz in der Google-Suche an. Zieht Microsoft da den Kürzeren?

Das mit Bing ist für Microsoft eher Publicity, ich glaube nicht, dass sie sich ernsthafte Chancen ausmalen, Google als Suchmaschine zu ersetzen. Ganz ähnlich verhält es sich auch mit dem Chatbot. Für den Otto Normalverbraucher ist das eine lustige Spielerei. Viel spannender ist es, in welche Geschäftsbereiche diese Technologie integriert wird. Den- noch sorgen die Chatbots für große Aufmerksamkeit, und das kommt beiden Unternehmen zugute. Bei Tech-Konzernen geht es immer um „What’s the next big thing?“. Die Aktien dieser Unternehmen brauchen das als Futter. Der Markt ist so riesig, da kommen sie sich nicht in die Quere. Eine Win-win-Situation.

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Ist der Chatbot Bard von Google womöglich besser als ChatGPT?

Logisch, der ist viel besser. Das Wissen von ChatGPT endet 2021, die Daten beruhen im Wesentlich auf Wikipedia und frei verfügbaren Büchern. Die Welt besteht aber nicht nur aus Wikipedia. Google hingegen ist die größte Bibliothek der Welt. Wobei es natürlich spannend wird, wenn OpenAI in wenigen Monaten das Update ihrer KI-Sprachsoftware GPT-4 herausbringt. Vergangene Woche stellte Alphabet den neuen Chatbot vor — aber auch der machte in einem Werbeclip bei der Beantwortung einer Frage noch Fehler. Der darauffolgende Kursrücksetzer ist nun wiederum gut für Anleger, günstiger einzusteigen.

Google hat angekündigt, den Chatbot in die Suchmaschine einzubauen. Kannibalisiert es sich damit nicht selbst? Immerhin ist die Haupteinnahmequelle Werbung, die Google mit gesponserten Inhalten bei den Suchergebnissen erzielt.

Bei Google geht es um Stickiness (dt. Klebrigkeit): Wie lange bleibt ein User auf der Seite? Laut Google-Gründer Larry Page ist eine Anwendung nur gut, wenn sie Zahnputzcharakter hat: Man benutzt sie mindestens zweimal am Tag. Durch die KI und den Chatbot setzen sich die User mit den Inhalten weit mehr aus- einander, bleiben länger auf Google. Das ist für die Werbung effizienter.

Auf wie viel Wachstum können sich KI-interessierte Anleger die nächsten Jahre einstellen?

Auf gigantisches. Technologische Entwicklungen laufen aber nie linear ab, sondern disruptiv. Finanzexperten und auch Journalisten denken aber nicht so. Sie denken von Quartal zu Quartal, passen dann ihre Schätzungen an. Das ist bei Tech Schwachsinn. Als Investor sollte man jetzt einsteigen und Vertrauen in die nächsten Jahre haben. 

Big-Tech-Aktien erzielten in den vergangenen zehn Jahren enorme Renditen. Viele sagen, dieses Wachstum sei nun vorbei. Wie viel ist bei Alphabet und Microsoft noch drin?

Sehr viel! KI wird sich auch im Kurs zeigen. Bei Alphabet ist in den kommenden zehn Jahren eine Verdreifachung des Kurses drin. Der Konzern ist endlich aufgewacht und startet eine massive KI-Offensive, die den Kurs befeuern wird. Alphabet hat die größten KI-Ressourcen, deswegen ist hier am meisten Wachstumsfantasie drin. Aber auch Microsoft hat seine Vorzüge: Für mich ist es wie die Allianz unter den Tech-Aktien. Der Konzern hat fantastische Kennzahlen und ein Triple-A-Rating. Microsoft spielt ja auch beim Metaverse, Gaming und bei Cybersecurity vorne mit. Jetzt kommt auch noch KI dazu. Zusammenfassend: Microsoft ist die konservative KI-Aktie, Alphabet die progressivere. Ich habe beide in meinem Vontobel AI Per- formance Index (ISIN: DE000VL3SJB4).

Ist das Thema KI gerade nur ein Hype? Oder ein tatsächlicher Wendepunkt? 

Einige vergleichen es mit dem iPhone-Moment. Das würde ich unterschreiben, aber hinzufügen: Die Auswirkungen dieser KI auf die Menschheit werden noch viel größer sein, als es beim iPhone der Fall war. 

Wird sich KI tatsächlich so gravierend auf viele Arbeitsplätze auswirken?

Nein, durch KI werden wir nur noch produktiver sein. Aber es wird Umschichtungen geben. Bei Ihnen als Journalisten etwa wird es nicht mehr wichtig sein, möglichst viel zu wissen und das stur runterzutippen. Hier wird Kreativität wichtig und die Fähigkeit, diese mithilfe der KI umzusetzen.

Wie gefährlich kann KI für uns Menschen werden?

Ich denke nicht, dass KI die Menschheit übernimmt, wohl aber sehe ich vieles kritisch. Was etwa ist noch wahr von dem, was ich lese? Wem kann ich vertrauen? KI-Algorithmen beeinflussen schon jetzt, was ich online lese. Man wird in der eigenen Meinung immer mehr bestärkt und lebt in seiner eigenen Blase. So konnte zum Beispiel Russland im Bürgerkrieg in Afrika verstärkt gegen Franzosen und Deutsche Stimmung machen. 

Was für eine Rolle spielen Deutschland und Europa im KI-Game?

Der Abstand für uns Europäer wird noch viel gewaltiger. Die Amerikaner investieren viel, selbst wenn sie erst Verluste machen. ChatGPT sollte mit Microsoft in zwei Jahren im Milliardenbereich Umsätze erzielen. Das würde man in Deutschland nie finanziert bekommen. In den USA ist eine viel bessere Umgebung für freies Denken und Dinge pragmatisch umsetzen. In Europa hinken wir hinterher, sind blockiert. Das ist so eine furchtbar kleingeistige Mentalität — und wir denken immer, wir wären ja so intelligent. Das macht uns überall „sympathisch“, besonders uns Deutsche.

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