Weltweit stellen demnächst viele Raffinerien den Betrieb ein. Und doch geht es bei der traditionell im Herbst anstehenden Revision hoch her - mitunter sind mehrere Tausend Facharbeiter im Einsatz, um die Anlagen zu reinigen, zu warten und zu modernisieren. Da die "Shutdowns" Einfluss auf die Ölpreise nehmen können, achten Rohstoffhändler genau darauf, welche Betriebe gerade für wie lange stillstehen. Die nahende Wartungsphase könnte die täglichen globalen Raffineriekapazitäten um bis zu rund fünf Millionen Barrel schmälern, was etwa sieben Prozent entspricht.

"Instandhaltung" lautet das Motto nicht nur in der Verarbeitung, sondern auch in der Öl- und Gasindustrie als Ganzes. Die Branche sucht an allen Ecken und Enden nach Möglichkeiten, mit einem radikal veränderten Umfeld klarzukommen. Auslöser war der Ölpreisverfall: Vor zwei Jahren kostete ein Barrel der Sorte Brent noch mehr als 100 US-Dollar, Anfang 2016 war Brent für weniger als 30 Dollar zu haben.

Ölsektor erholt sich



Bekanntlich haben sich die Preise mittlerweile erholt. Im bisherigen Jahresverlauf verbucht Brent-Öl ein Plus von mehr als einem Drittel. Im Sog dieser Entwicklung erlebten auch die Aktienkurse des Sektors ein Comeback. Für den Index Stoxx Europe 600 Oil & Gas steht 2016 bislang ein Plus von rund 13 Prozent zu Buche. Für die weiteren Perspektiven der Ölmultis ist von zentraler Bedeutung, ob und wann die Ölschwemme abebbt.

Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) übertraf die tägliche Produktion die weltweite Nachfrage 2015 um durchschnittlich zwei Millionen Barrel. Obwohl sich der Überschuss 2016 knapp halbieren soll, bleiben die Tanks prall gefüllt. Laut IEA erreichten die Lagerbestände in den Mitgliedsländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im August den Rekordstand von knapp 3,1 Milliarden Barrel. Allerdings zeichnet sich eine allmähliche Verknappung ab. "Der weltweite Ölmarkt dürfte spätestens in der zweiten Jahreshälfte 2017 unterversorgt sein", sagt Carsten Fritsch, Rohstoffanalyst der Commerzbank. Ab 2018 sollen die Vorräte sukzessive abnehmen (siehe Grafik unten). Obwohl die besseren Aussichten in den Kursen bereits zum Ausdruck kommen, bietet der Sektor langfristig orientierten Anlegern weiter Chancen.





Das gilt insbesondere für Royal Dutch Shell. BÖRSE ONLINE hat den britisch-niederländischen Multi bereits Mitte Februar (Ausgabe 7/2016) zum Branchenfavoriten erkoren. Anschließend verteuerte sich die B-Aktie in der Spitze um 27 Prozent und übertraf das Kursziel deutlich. Für einen zusätzlichen Energieschub sorgte der Brexit. Denn der Konzern weist Bilanz und Dividende in US-Dollar aus. Die Abwertung des Britischen Pfunds, die mit dem Referendum zum Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union (EU) einherging, sorgte daher für einen positiven Umrechnungseffekt.

Operativ hat Royal Dutch Shell zuletzt enttäuscht. Im zweiten Quartal fuhr der Konzern mit einer Milliarde US-Dollar weniger als die Hälfte des Gewinns ein, den Analysten im Schnitt erwartet hatten. "Die niedrigeren Ölpreise bleiben quer durch das Geschäft eine große Herausforderung", bringt Unternehmenschef Ben van Beurden die Lage auf den Punkt. Überdies treibt die 54 Milliarden Dollar schwere Übernahme des Rivalen BG kurzfristig die Kosten. Allerdings macht die Transaktion Royal Dutch Shell zum größten Händler von Flüssiggas, im Fachjargon Liquified Natural Gas (LNG). Damit hat sich das Unternehmen in einem strategisch wichtigen Segment verstärkt.

Um das Geschäft zu finanzieren, fährt van Beurden ein groß angelegtes Devestitionsprogramm. Allein im laufenden Jahr sollen Geschäftsanteile in einem Volumen von sechs bis acht Milliarden Dollar abgestoßen werden. Keine Abstriche macht der Niederländer dagegen bei den Ausschüttungen. Für 2016 liegt die Dividendenrendite von Royal Dutch Shell bei 7,1 Prozent - ein starkes Argument für den Kauf dieser Aktie.

Mit einer Dividendenrendite von knapp vier Prozent kann Galp Energia da nicht ganz mithalten. Trotzdem hat auch der portugiesische Ölversorger unser Kursziel erreicht. Wer investiert ist, sollte die Gewinne mit einem Stoppkurs absichern. Von einem Neueinstieg raten wir ab. Wegen der im Sektorvergleich hohen Bewertung scheint die Aktie vorerst ausgereizt.



Erhöhte Gewinnerwartungen



Dagegen überzeugen bei BP mit einer Dividendenrendite von sieben Prozent sowie einem auf 14,4 geschrumpften KGV die Argumente wieder. Seit unserem Branchenreport vom Februar haben Analysten die Gewinnschätzungen für den Konzern deutlich angehoben. Und das, obwohl die Briten mit der jüngsten Quartalsbilanz nicht vollends überzeugen konnten.

In der Spur ist das Unternehmen jedoch mit den laufenden Sparmaßnahmen. Im kommenden Jahr sollen die Cashkosten um sieben Milliarden Dollar geringer ausfallen als 2014. Gleichzeitig will Konzernchef Bob Dudley die Kapitalausgaben gegenüber dem Niveau von 2014 um 30 bis 40 Prozent drücken. Die verschiedenen Maßnahmen dienen dem mittelfristigen Ziel, selbst dann freie Cashflows zu erwirtschaften, wenn die Ölpreise im Bereich von 50 Dollar verharren. Einen wirtschaftlichen Schlussstrich konnte Dudley kürzlich unter die Ölkata-strophe im Golf von Mexiko im April 2010 ziehen, der das Unternehmen vor Steuern stolze 61,6 Milliarden Dollar kostet. Doch die Klärung der Ansprüche ist ein positives Signal und ein weiterer Grund, die BP-Aktie auf "Kaufen" heraufzustufen.

OMV erhielt bereits im Februar ein positives Rating. Seither kam die Aktie des österreichischen Konzerns jedoch nur um gut vier Prozent voran. Nachdem der operative Gewinn im zweiten Quartal um 43 Prozent eingebrochen war, weitete Vorstandschef Rainer Seele das Sparprogramm aus. Neben niedrigen Ölpreisen machen dem Konzern schrumpfende Margen im Raffineriegeschäft zu schaffen. Immerhin: OMV verdiente von April bis Juni mehr als erwartet. Bis Ende des Jahres möchte Seele einen 49-Prozent-Anteil an der Tochter Gas Connect Austria verkaufen. Insidern zufolge soll der Preis zwischen 500 und 600 Millionen Euro liegen. Eine erfolgreiche Transaktion könnte die OMV-Aktie aus ihrer Lethargie reißen.

Auf einen warmen Geldregen hofft auch Total. Der französische Öl- und Gasriese ist dabei, die Tochter Atotech abzustoßen. Das Berliner Spezialchemieunternehmen soll mehr als drei Milliarden Euro einbringen. Allerdings ist mit Sinochem ein potenzieller Bieter aus dem Verkaufsprozess ausgestiegen. Insofern ist es fraglich, ob es Total wie erhofft gelingt, das Geschäft bis Ende Oktober in trockene Tücher zu bringen. Wir belassen die Einschätzung für die im Seitwärtstrend gefangene Aktie auf "Beobachten". Anleger können sich auch den ganzen Sektor ins Depot holen. Lyxor bildet den Index Stoxx Europe 600 Oil & Gas über einen ETF passiv ab.