Fett-weg-Spritzen erfreuen sich auch dank prominenter Verwender steigender Beliebtheit. Die Pharmaindustrie arbeitet bereits an wirksamen Pillen.

Es klingt fast schon zu gut, um wahr zu sein: Einmal in der Woche ein kurzer Piks mit einer Spritze in Oberarm, Bauch oder Oberschenkel — und überschüssige Pfunde verschwinden einfach. Diesen Wunsch bedienen populäre Abnehmmittel in Spritzenform. Technisch ausgedrückt, wirken die Mittel über das körpereigene Hormon GLP-1, im Klartext: Sie unterdrücken den Appetit, verlangsamen die Entleerung des Magens und sorgen so für ein länger anhaltendes Sättigungsgefühl. Kurzum: Die Menschen essen dadurch weniger. Mit der Spritze allein erreicht man den Traumkörper allerdings nicht. Gesunde Ernährung und Bewegung sind weiterhin unabdingbar. Bislang wird der Markt für Abnehmspritzen vom dänischen Pharmakonzern Novo Nordisk und US-Konkurrent Eli Lilly dominiert. Die Dänen feiern vor allem mit den Mitteln Ozempic und Wegovy großen Erfolg, während Eli Lilly primär für Mounjaro bekannt ist. 

Auch wenn Prominente wie Tesla- Chef Elon Musk auf die Mittel schwören, sind die Spritzen keine Lifestyle-Produkte. Die Präparate sind rezeptpflichtig. Für die Verschreibung spielen Faktoren wie der Body-Mass-Index (BMI) oder Begleiterkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck eine Rolle. Die Abnehmspritzen werden eigentlich zur Behandlung von Typ-2-Diabetes und Fettleibigkeit eingesetzt. Weil aber auch gesunde Menschen gern mit Unterstützung ein paar unerwünschte Fettpölsterchen loswerden wollen, werden die Mittel vermehrt auch abseits ihres ursprünglichen Behandlungszwecks verwendet (Off Label Use). Doch auch wenn ein Arzt ein solches Mittel verschreibt, müssen Patienten es selbst bezahlen. In Deutschland beispielsweise sind Mittel zur Regulierung des Körpergewichts oder Zügelung des Appetits von der Kostenerstattung durch die Krankenkassen ausgeschlossen. Entsprechend bedarf es eines dicken Geldbeutels: In den USA kostet die Behandlung mit Wegovy monatlich rund 1300 Dollar. Dabei wird eine Spritze pro Woche verabreicht. Novo Nordisk will Wegovy Ende Juli auch in Deutschland anbieten. Was das Mittel hierzulande kosten soll, steht noch nicht fest.

Gewichtiges Problem

Der Bedarf für die Präparate ist auf jeden Fall vorhanden und dürfte absehbar zunehmen, denn die globale Wohlstandsgesellschaft steht vor massiven Herausforderungen. In ihrem „Atlas 2023“ prognostiziert die World Obesity Federation, eine Länderorganisation zum Thema Übergewicht und Adipositas, dass ohne wesentliche Maßnahmen bis 2035 mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung übergewichtig oder fettleibig sein wird. Dies entspricht über vier Milliarden Menschen, etwa 1,9 Milliarden davon adipös. Das führt auch zu enormen finanziellen Belastungen: Eine Auswertung von Bloomberg Intelligence kommt zu dem Schluss, dass Fettleibigkeit und die Begleiterkrankungen wie Herzkrankheiten oder Diabetes heute gesellschaftliche Kosten von rund zwei Billionen Dollar pro Jahr verursachen. Solche Aufwendungen für Behandlungskosten und Produktivitätsverluste sollen sich demnach bis 2035 mehr als verdoppeln. 

Entsprechend stark soll der Markt für Adipositas-Medikamente wachsen: Basierend auf Konsensschätzungen beziffert Bloomberg Intelligence den weltweiten Markt in diesem Jahr mit 6,1 Milliarden Dollar — nach 2,5 Milliarden im Vorjahr. Bis zum Ende des Jahrzehnts erwartet der Konsens ein enormes Wachstum auf ein Volumen von rund 40 Milliarden Dollar. 

Während die Kunden versuchen abzunehmen, werden die Anbieter der Mittel an der Börse selbst immer mehr zu Schwergewichten. Die bereits gestiegene Nachfrage und die Perspektive auf weiter fette Geschäfte in der Zukunft rücken die entsprechenden Pharmakonzerne vermehrt in den Fokus der Investoren. Der kürzliche Kursanstieg nach vielversprechenden Studiendaten schob Eli Lilly an Johnson & Johnson vorbei und machte das Unternehmen zum weltweit wertvollsten Pharmakonzern. Auf dem dritten Rang folgt die dänische Novo Nordisk.

Pille statt Spritze

Um ihre Führungspositionen zu verteidigen, arbeiten die Pharmagrößen bereits an neuen Mitteln. Der nächste Schritt sollen Abnehmmedikamente in Pillenform werden. Die Hoffnung: Weitgehend gleiche Wirksamkeit, aber ohne unangenehme Nadel und zu einem niedrigeren Preis. „Die orale Erhaltungstherapie eröffnet den Adipositas- Markt, mildert die Bedenken der Kostenträger hinsichtlich der Preisgestaltung und wirkt sich möglicherweise nicht so stark auf die Gewinnspannen aus“, erklärt Jefferies-Analyst Will ­Sevush. Eine komfortablere Einnahme zu erschwinglicheren Preisen könnte den potenziellen Markt erheblich vergrößern. Zudem dürften die Pillen einfacher herzustellen sein als Injektionsspritzen, wodurch sich Lieferengpässe entschärfen ließen. Mit solchen hatte beispielsweise Novo Nordisk zu kämpfen. Die Produktion kam kaum hinterher, seit sich Wegovy zunehmend auch als Abnehmmittel für alle etabliert hat. 

Wie bei den Spritzen konkurriert Novo Nordisk auch bei den Pillen vor allem mit Eli Lilly. Der US-Konzern verfügt mit Orforglipron und Retatrutid bereits über zwei vielversprechende Kandidaten. Jüngst ließ der Pharmariese mit Daten zu Phase-2-Studien zu Retatrutid aufhorchen. Patienten ohne Diabetes, die fettleibig oder übergewichtig waren, erhielten das Medikament einmal wöchentlich. Das Ergebnis: Nach 48 Wochen hatten sie durchschnittlich 24,2 Prozent ihres Körpergewichts verloren. Hohe Dosierungen des Medikaments hätten in einer separaten Studie zudem zu einem deutlichen Rückgang des Leberfetts geführt. Dadurch bietet sich zusätzliches Potenzial für die Behandlung von Erkrankungen wie der nicht alkoholischen Fettleber. Für den anhaltenden Wettstreit mit Eli Lilly schickt Novo Nordisk neben dem bereits zugelassenen Diabetes-­Medikament Rybelsus auch das noch in Studien befindliche CagriSema ins Rennen. Rybelsus nutzt eine angepasste Form des Antidiabetikums Semaglutid, des Wirkstoffs aus den Spritzen Ozempic und Wegovy. Große Hoffnung ruht auf CagriSema. Die US-Bank Jefferies wertete die klinischen Phase-3-Studiendaten des Mittels der Dänen zuletzt als beeindruckend. Allerdings könnte Eli Lilly mit Phase-2- Daten zu Retatrutid die Messlatte noch höher legen, glauben Analysten. Die Zulassung der potenziellen Blockbuster CagriSema und Retatrutid dürfte allerdings noch ein paar Jahre dauern.

Auch Pfizer mischt mit

Im Wettstreit von Novo Nordisk und Eli Lilly will auch der US-Konkurrent Pfizer mitmischen. Der Konzern hatte bis vor Kurzem zwei aussichtsreiche Kandidaten für Abnehmpillen in der ­Pipeline, ließ mit Lotiglipron jedoch ein Mittel wegen Sicherheitsproblemen fallen. Stattdessen fokussieren sich die New Yorker nun auf Danuglipron, eine zweimal täglich einzunehmende Pille. Momentan läuft zu dem Mittel eine Phase-2-Studie bei Teilnehmern mit nicht diabetischer Fettleibigkeit. Diese will Pfizer bis Ende des Jahres abschließen. Einzelne Analysten äußern Sorgen, dass die Notwendigkeit einer zweimal täglichen Einnahme von Danuglipron seine Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen könnte. Angesichts des erwarteten Marktwachstums in den kommenden Jahren wäre eine mögliche Zulassung für Pfizer jedoch noch immer sehr lukra­tiv — und die Aussicht auf Gewichtsverlust mit wirkungsvollen Abnehmpillen für Konsumenten sogar noch besser als der kurze Piks mit der Spritze. 

Dieser Artikel erschien zuerst in Euro am Sonntag 27/2023. Hier erhalten Sie einen Einblick ins Heft.

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