Eigentlich geht es in der Branche der Lkw-Hersteller recht gemütlich zu. Nicht nur weil die Neubeschaffungszyklen der Nutzfahrzeugkunden viel länger sind als die bei Automobilkäufern. Auch bei technologischen Neuerungen sind Schnellschüsse wenig gefragt, schließlich muss so eine Zugmaschine mehr als eine Million Kilometer winters wie sommers zuverlässig herunterspulen. Werkstattaufenthalte wegen wenig erprobter Teile sind den Speditionen ein Graus, der Ruf eines Herstellers dann schnell ruiniert.

Doch seit dem Jahreswechsel überschlagen sich die Meldungen der Lkw-Hersteller geradezu, neue Allianzen werden geschmiedet, fast täglich neue Technik präsentiert oder angekündigt. Die Begründung für die Hektik liefert Martin Daum, seit 2017 im Daimler-Vorstand und verantwortlich für die Sparte Trucks und Buses.

"Der Klimawandel steht ganz oben auf der Agenda der Nutzfahrzeugindustrie, denn er ist die größte Herausforderung für die Weltwirtschaft und die gesamte Menschheit", so Daum, als er vorvergangene Woche den Vorsitz des Nutzfahrzeug- Ausschusses im Verband europäischer Automobilhersteller (ACEA) übernahm. Entsprechend haben die Daimler Truck AG, Iveco (CNH Industrial), die Ölkonzerne OMV und Shell sowie die Volvo Group im Dezember ihre neue Interessengemeinschaft H2Accelerate vorgestellt, mit der sie dem per Wasserstoff angetriebenen Lkw europaweit zum Durchbruch verhelfen wollen.

Das müssen sie auch, denn zum einen wächst der Druck aus der Politik, den Schadstoffausstoß der Lkw-Flotten zu reduzieren. Noch ist die Transportwirtschaft für rund ein Fünftel des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich. Zum anderen verlangen die Auftraggeber der Spediteure zunehmend einen sogenannten CO2-Fußabdruck, also Angaben zur Umweltfreundlichkeit des Tranports, um wiederum bei den Endabnehmern damit punkten zu können. Hyundai testet derzeit 20 kleine Wasserstoff-Lkw in der Schweiz, Paccar (Kenworth) aus den USA kooperiert mit Toyota bei der Technik. Bis die Brennstoffzellenbrummis allerdings wirklich marktrelevant werden, wird wohl noch ein Jahrzehnt vergehen. Doch die Börse handelt eben die Zukunft - und wer hier mit entsprechender Technologie aufwarten kann, bekommt beim Aktienkurs Pluspunkte.

Schon die aktuellen Entwicklungen in der Branche sorgen aber für Bewegung bei den Bewertungen der Hersteller. So hat etwa das "Handelsblatt" Anfang des Jahres gemeldet, Daimler wolle noch dieses Jahr sein Trucksparte gesondert an die Börse bringen, ähnlich wie schon Volkswagen mit Traton (Scania, MAN).

Wirklich dementiert hat Daimler diese Nachricht bisher nicht. Und Branchenkenner berichten, Daimlers Lkw-Chef Daum lege in letzter Zeit eine von ihm bisher nicht gekannnte Betriebsamkeit an den Tag, was durchaus für einen baldigen Truck-IPO sprechen würde. Eine eigene Wertpapierkennnummer hat Daimler Trucks jedenfalls schon (DT0 001).

CNH Industrial verhandelt mit FAW


Konkret angekündigt hat das US-Unternehmen Proterra seinen Börsengang für dieses Jahr. Der US-Hersteller von Elektrobussen, Antrieben, Batterien und Ladesystemen will mittels der Fusion mit dem Investor ArcLight Clean Transportation ohne großen IPO-Aufwand an der Technologiebörse Nasdaq gehandelt werden. Angepeilter Unternehmenswert: 1,6 Milliarden Dollar. Zu den Geldgebern und strategischen Partnern von Proterra gehört unter anderem Daimler Trucks. Das frische Geld der Aktionäre ist für ein Programm geplant, das die Kosten für Batterien der nächsten Generation reduzieren und diese gleichzeitig so konzipieren soll, dass sie sich zur Elektrifizierung sämtlicher Nutzfahrzeugsegmente eignen. Bis dato ist Proterra vor allem bei Elektrobussen aktiv.

Mit Spannung verfolgt werden auch die Verhandlungen des Iveco-Mutterkonzerns CNH Industrial mit dem chinesischen Staatskonzern FAW über einen Verkauf der Lkw-Sparte in Richtung Reich der Mitte. FAW ist mit seiner Marke Jiefang der größte Hersteller von schweren Lastwagen in China. Bereits im Herbst vergangenen Jahres hatten die Chinesen etwas mehr als drei Milliarden Euro für Iveco geboten, das CNH-Management sah die Offerte allerdings als zu niedrig an. Zudem soll auch das chinesische Industriekonglomerat Shandong Heavy Industry, ebenfalls ein Staatsbetrieb, Interesse an Iveco signalisiert haben; hier sind angeblich 3,5 Milliarden Euro geboten worden. Ein Sprecher von CNH hat inzwischen die Wiederaufnahme der Gespräche mit FAW über eine "Kooperation" bestätigt. Dabei soll es auch um eine Minderheitsbeteiligung der Chinesen am Motorenhersteller FPT (Fiat Power Train) gehen.

Nikola arbeitet am Comeback


CNH Industrial hat im vergangenen Jahr seinem Großaktionär Exor, der die Beteiligungen der Unternehmerfamilie Agnelli vertritt, wenig Freude gemacht. Nach den Zahlen zum dritten Quartal lagen die Sparten Landtechnik, Bau sowie Lkw und Motoren sowohl beim Umsatz wie beim Gewinn im Minus. Und bis zum Jahresende - noch liegen keine Zahlen vor - dürfte sich die Situation kaum geändert haben. Dafür haben die Spekulationen über die FAW-Übernahme den Aktienkurs von CNH Industrial um die Jahreswende kräftig nach oben getrieben.

Vollkommen offen ist, welche Auswirkungen die China-Offerte auf die CNH-Beteiligung am US-Hersteller von wasserstoffbetriebenen Lkw Nikola haben wird. Rund 20 Prozent Anteil an dem Start-up hatte sich CNH vor dessen Börsennotierung im Juni vergangenen Jahres gesichert. Nach einem Kursfeuerwerk - die Bewertung von Nikola stieg binnen kurzer Zeit auf stolze 25 Milliarden US-Dollar - stürzte der Kurs wieder ab, nachdem Shortseller dem Nikola-Boss Trevor Milton Betrug vorgeworfen hatten. In einem Werbevideo war ein Nikola-Brennstoffzellenprototyp in Fahrt zu sehen, tatsächlich jedoch rollte er ohne die neue Technik einfach einen Berg hinab. Dass Nikola noch gar nicht über einen funktionsfähigen Wasserstoff-Lkw verfügt, war in der Branche zwar allgemein bekannt, die Attacke der Shortseller ging allerdings auf, und Milton trat als Chairman zurück.

Seit Jahresanfang hat der Nikola-Kurs jedoch wieder um gut 40 Prozent zugelegt. Ein Grund könnte sein, dass derzeit zwei rein batterieelektrisch betriebene Prototypen des für Europa konzipierten "Nikola Tre" zu Testfahrten in den USA sind, ein dritter ist auf dem Weg dorthin. Entwickelt und gebaut werden die Trucks im deutschen Iveco-Werk in Ulm, wo schon eifrig am Aufbau einer Serienproduktion gearbeitet wird. Die Brennstoffzelle für den Europa-H-Tre ist ebenfalls schwäbisch, sie kommt von Bosch.

Auftrieb könnte dem Nikola-Kurs auch eine Meldung von General Motors bringen: Der Autohersteller hatte zwar die Zusammenarbeit mit Nikola für den Bau eines Wasserstoff-Pickups aufgekündigt, doch GM wird seine Brennstoffzellentechnologie Hydrotec, wie vergangene Woche angekündigt, nun dem US-Nutzfahrzeughersteller Navistar, der von Traton übernommen wird, zur Verfügung stellen. Dennoch haben GM und Nikola vereinbart, dass der Autobauer sein Hydrotec-System auch für Nikola-Nutzfahrzeuge der Klassen 7 und 8 (also die schweren Lkw) liefern wird.