Bereits zu Lebzeiten wurde Gabrielle Chanel, genannt Coco, zur Legende. Ihre Mode war revolutionär. In einer Zeit, in der man gerade einmal den Fuß durchscheinen sah, ließen ihre Röcke den Knöchel und später schon fast das Knie frei. Ihr Parfum Chanel No. 5 gilt noch heute als das meistverkaufte der Welt. Es war das erste, das nicht nur nach einer einzigen Blume duftete.

Die begnadete Couturière sah stets aus wie eine Werbefigur für ihre Mode. Mit ihren schwarzen Augen, der kurzen Pagenkopffrisur, der gebräunten Haut, der schmalen Figur und den fließenden Röcken wirkte sie cool und verführerisch. Damen der feinen Gesellschaft wollten bald genauso auftreten wie die kleine, zarte und lässige Pariserin.

Als Unternehmerin wurde sie bald erfolgreich. Im Zenit ihres Erfolgs beschäftigte sie rund 4000 Mitarbeiter. Aber das Glück war ihr nicht in die Wiege gelegt worden. Sie kam von ganz unten.

Gabrielle Chanel wurde 1883 als uneheliche Tochter eines Hausierers und einer Wäscherin im Armenhospital der französischen Stadt Saumur geboren. Als Kind half sie ihrer Mutter beim Straßenverkauf von Wein und Kurzwaren. Als ihre Mutter an Tuberkulose starb, war Gabrielle gerade einmal zwölf Jahre alt. Ihr Vater brachte das völlig verwahrloste Mädchen in das Waisenhaus eines Zisterzienserklosters - und verschwand dann für immer aus ihrem Leben. Sie schlief in einem unbeheizten Schlafsaal. Die Hälfte der Zeit ging sie in die Klosterschule, die andere Hälfte verbrachte sie in den Werkräumen, wo die Waisen nähen und stricken lernten.

Mit 19 Jahren verkaufte sie Strumpfbänder und Korsetts im nahen Garnisonsstädtchen Moulins. Abends trat sie als Sängerin im Grand Café auf, dem bevorzugten Treffpunkt der jungen Offiziere des Jägerregiments, und sang meist mit dünner Stimme das Liedchen vom verlorenen Hündchen "Coco". Die zarte Mademoiselle in dem strengen, sichtlich selbst geschneiderten Kostüm wurde deshalb nach einiger Zeit von den Offizieren "Coco" genannt.

Erbarmungslos und intrigant

Dank der finanziellen Unterstützung zweier Männer konnte sie an der noblen Rue Cambon in Paris ein Hutatelier und im mondänen Seebad Deauville eine Modeboutique eröffnen. Ihr erster Biograf, der Amerikaner Axel Madsen, bezeichnete sie als skrupellose Karrierefrau, erbarmungslos in ihrer Art, sich die Männer hörig zu machen, intrigant bis zur Vernichtung des Gegners, wenn sich ihr jemand in den Weg nach oben stellte.

Während des Ersten Weltkriegs blieben die Modesalons in Paris geschlossen - nur nicht der Salon von Coco. Sie kaufte ballenweise Baumwolljersey und schneiderte daraus, was die Modewelt revolutionieren und den Frauen zu einem neuen Lebensgefühl verhelfen sollte. Cocos Business florierte. Ihre Kleider wurden bald zum Must-have der Pariser Gesellschaft. 1922 brachte sie zudem zusammen mit ihren Geschäftspartnern, den Gebrüdern Wertheimer, das Parfum Chanel No. 5 auf den Markt. Noch heute gilt es als das meistverkaufte der Welt. Sie vergrößerte ihre Boutique im Zentrum der Hauptstadt, beschäftigte 300 Näherinnen, sie fuhr einen blauen Rolls-Royce, rauchte öffentlich Zigaretten, verkehrte in der Pariser Boheme, in einem illustren Kreis aus Intellektuellen, Künstlern und reichen Unternehmern. Und sie machte sich die Männer untertan. Durch ihre Liaison mit dem Duke of Westminster war sie bis in höchste Kreise der englischen Gesellschaft vernetzt: Zu ihren Freunden gehörten der Herzog von Windsor und Winston Churchill.

Geführt als Agentin F-7124

Coco zog 1934 in eine Suite im legendären Hotel Ritz, damals die Drehscheibe des gesellschaftlichen Lebens in Paris. Der Name Chanel war in der Modewelt längst Legende. Sie befand sich jetzt auf dem Höhepunkt ihres Ruhms. Ihr Haute-Couture-Haus erstreckte sich über fünf Gebäude und beschäftigte bis zu 4000 Angestellte. Zu ihren Kundinnen gehörten Stars wie Marlene Dietrich und Greta Garbo. Die amerikanische "Vogue" erklärte ihre Mode zum "Inbegriff der Eleganz".

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs floh sie vor den deutschen Truppen erst in die Nähe der spanischen Grenze, in den unbesetzten Teil Frankreichs. Im Ritz begann die inzwischen 57-jährige Mode-Ikone eine Affäre mit einem 13 Jahre jüngeren Wehrmachtshauptmann, dem Baron Hans Günther von Dincklage.

Der schneidige, blonde Offizier mit den blendenden Umgangsformen war offiziell Pressesprecher der deutschen Botschaft, in Wahrheit aber Sonderbeauftragter des Reichspropagandaministeriums und wurde von Hitler und Goebbels persönlich empfangen. Der amerikanische Journalist Hal Vaughan sollte 2011 in seiner Biografie über Coco Chanel nachweisen, dass sie damals von den Nazis als Agentin F-7124 mit dem Codenamen "Westminster" geführt wurde und dass sie mindestens zwei Aufträge für die deutsche Abwehr ausgeführt hatte, vermittelt durch ihren Baron. Sie stand auch im Zentrum "einer der absurdesten Geheimdienstaffären des Zweiten Weltkriegs" (Der Spiegel): Sie sollte für den deutschen Geheimplan eines Separatfriedens mit Großbritannien ihre Kontakte zum britischen Premierminister Winston Churchill nutzen und ihn zu Gesprächen mit den Deutschen über ein mögliches Kriegsende überreden. Ihre Geheimmission scheiterte schließlich.

Zweite Karriere in Paris

Zwei Wochen nach der Befreiung von Paris wurde sie als Kollaborateurin verhaftet, kam jedoch nach ein paar Stunden wieder frei, offenbar dank der Fürsprache von Churchill. So entging sie dem Schicksal vieler französischer "Soldatenliebchen", mit kahlgeschorenem Kopf und nackt durch die Straßen gejagt zu werden. Sie floh gleich nach Lausanne, wo Baron von Dincklage bereits auf sie wartete.

Das Leben in ihrem Schweizer Exil am Lac Léman war angenehm. Chanel bezog eine Suite, und spazierte sie am See, folgte ihr der Chauffeur in einem Cadillac.

Sie blieb ein ganzes Jahrzehnt in der Schweiz, bis sie 1954 ihre zweite Karriere in Paris begann und erneut die Boutique in der Rue Cambon mit einer neuen Kollektion eröffnete. Sie erlebte ein strahlendes Comeback. Auch die Gattin des französischen Präsidenten Georges Pompidou zeigte sich in ihren Kostümen, ebenso Stars wie Brigitte Bardot, Grace Kelly, Romy Schneider oder Elizabeth Taylor.

Coco Chanel galt in ihren späten Lebensjahren in der Branche als schwierige, verbitterte Person, die in ihren Ateliers und in ihrer Suite im Ritz ein zurückgezogenes, einsames Dasein führte. Sie starb 1971 in Paris und wurde in Lausanne begraben. Den Grabstein hatte sie noch selbst entworfen. "Drei Namen aus diesem Jahrhundert wird Frankreich nie vergessen", sagte André Malraux, der berühmte französische Schriftsteller, Ex-Minister und Abenteurer: "De Gaulle, Picasso, Chanel."