"Unser Unternehmen ist kein Sanierungsfall", sagte Kaeser am Dienstag auf der Hauptversammlung vor 7700 Aktionären. "Auch wenn wir in der Ertragskraft den Anschluss verloren haben, werden wir das nicht mit Hektik und Schminke lösen, sondern überlegt, auf Wertschöpfung ausgerichtet, konsequent und verantwortlich", beruhigte er die durch zahlreiche Gewinnwarnungen verunsicherten Anteilseigner.

Mit welcher Strategie Siemens künftig im Wettbewerb bestehen soll, ließ sich Kaeser noch nicht entlocken. Seine Zukunftsvision will der Manager, der den Chefposten offiziell am 1. August übernommen hat, im Frühsommer präsentieren. Die Aktionäre waren ungeduldig. "Dadurch, dass Sie Herr Kaeser sich bei der Formulierung dieses Planes soviel Zeit gelassen haben, erwarten wir Investoren jetzt auch den großen Wurf", sagte Fondsmanager Henning Gebhardt von DWS. "Jetzt müssen die Kräfte gebündelt werden, um unter Führung von Herrn Kaeser den Anschluss zum Wettbewerb wiederherzustellen." Die Anleger wollen von Kaeser schnell Erfolge sehen. "Abgerechnet wird nicht heute, sondern in einem Jahr. Dann stehen ihre Leistungen auf dem Prüfstand", kündigte Aktionärsvertreterin Daniela Bergdolt von der DSW an.

Im ersten Quartal des Geschäftsjahres 2013/14 erntete Kaeser die Früchte des Umbauprogramms, das sein Vorgänger Peter Löscher noch auf den Weg gebracht hatte und an dessen mittelfristigen Renditezielen er schließlich gescheitert war. Die Rendite stieg im Auftaktquartal trotz stagnierender Einnahmen kräftig auf über zehn Prozent, auch dank dem laufenden Abbau von 15.000 Stellen. Der Gewinn des fortgeführten Geschäfts wuchs um ein Fünftel. Erstmals schnitt Siemens damit auf Quartalsbasis besser ab als die Rivalen ABB, Alstom und Philips.

Zur weitere konjunkturelle Entwicklung äußerte sich Kaeser zurückhaltend. Insbesondere im Geschäft mit Fabrikausrüstung sei kein rechter Aufschwung in Sicht. Allerdings läuft die Energietechnik weiter gut, zwei Großaufträge für Windparks polsterten den Auftragsbestand von Siemens auf. Freuen konnte sich Kaeser auch über die Entwicklung im lange ertragsschwachen Sektor Infrastruktur & Städte. Der Gewinn mit Zügen, Stromnetzen und Gebäudetechnik hat sich den Angaben zufolge zuletzt mehr als verdoppelt. Bei stagnierendem Umsatz soll der Gewinn je Aktie im Geschäftsjahr 2013/14 (per Ende September) um mindestens 15 Prozent zulegen.

AKTIONÄRE GEHEN MIT CROMME SCHARF INS GERICHT

Im Fokus der Kritik stand vor allem Aufsichtsratschef Gerhard Cromme. Die Ablösung von Kaesers Vorgänger Löscher sei "dilettantisch" gewesen, schimpfte Bergdolt. Die Querelen um den Wechsel an der Vorstandsspitze hätten Siemens geschadet. Der 70-Jährige verteidigte sich. Dass die Querelen um die Personalie Löscher aus dem Aufsichtsrat in die Öffentlichkeit gelangt seien, sei nicht seine Schuld gewesen. Forderungen nach einer Benennung eines Amtsnachfolgers binnen eines Jahres wich Cromme aus. Dem Aufsichtsrat sei die Nachfolgethematik bewusst. Er wolle sich aber zunächst mit Aktionären aus dem In- und Ausland über eine Nachfolgeregelung beraten, um einen breiten Konsens über die Personalie zu finden - "zur gegebenen Zeit". Die Siemens-Aktionäre hatten Cromme 2013 für fünf weitere Jahre an die Spitze des Aufsichtsrats gewählt.

Kaeser betonte, dass ihm nach den Turbulenzen um die Führungsspitze im vergangenen Sommer die "Stabilisierung der inneren Ordnung" gelungen sei. "Die Kolleginnen und Kollegen sind wieder stolz auf Siemens, und die allermeisten gehen motiviert und selbstbewusst an die Arbeit." Die Zeiten der groben Schnitzer will Kaeser vergessen machen. "In den zurückliegenden sieben Jahren hatten wir im Durchschnitt 700 Millionen Euro an Sonderbelastungen, und zwar Jahr für Jahr; In den letzten beiden Jahren sogar über eine Milliarde Euro", klagte der frühere Finanzvorstand. "Das ist eindeutig zu viel, und das müssen wir ändern."

Im Handumdrehen wird Kaeser allerdings die Schatten der Vergangenheit nicht los. Es drohten in den kommenden Jahren weitere "materielle Belastungen" durch den verpatzten Anschluss von Windparks in der Nordsee, den um Jahre verzögerten Bau eines Atomkraftwerks in Finnland und die Zulassung des Hochgeschwindigkeitszuges Velaro für den Ärmelkanaltunnel.

Um Kosten zu sparen, will sich Siemens von der US-Börse zurückziehen. Dabei soll die Finanzberichterstattung vereinfacht werden. Das Handelsvolumen der Siemens-Aktien in den USA sei inzwischen vergleichsweise niedrig und habe 2013 im Durchschnitt deutlich unter fünf Prozent des weltweiten Handelsvolumens betragen. Geht alles glatt, verschwinde Siemens Ende August vom Kurszettel der New Yorker Börse.

Reuters