Nach Querelen um Führung, Aufsichtsrat, Stellenabbau und Renditeziele erwarten die Aktionäre vom neuen Siemens-Boss auf der Hauptversammlung nun eine Strategie, wie der Münchener Technologieriese wieder auf Erfolgskurs gebracht werden kann. Die Aufmerksamkeit dürfte ganz Kaesers Geschmack sein. Seit er im vergangenen Sommer Peter Löscher auf dem Chefsessel abgelöst hat, genießt der 56-jährige Niederbayer die große Bühne. Mit harscher Kritik muss er seitens der Eigentümer kaum rechnen. Nach der Aufregung um Löschers Abgang und weiteren Managementrochaden gelang ihm zuletzt doch noch sein Antrittsversprechen einzulösen: Siemens zur Ruhe bringen.

Zudem trieb allein sein Wechsel an die Vorstandsspitze die Siemens-Aktie in Richtung alter Rekordwerte um die 100 Euro. Obwohl der Konzerngewinn im abgelaufenen Geschäftsjahr 2012/13 um ein Zehntel auf 4,2 Milliarden Euro abrutschte, hielt Kaeser die Dividende bei drei Euro je Aktie stabil und kündigte zudem an, den Kurs mit weiteren Rückkäufen von Anteilen zu pflegen.

Schon in seiner Zeit als Finanzchef sonnte sich Kaeser als eloquenter Redner und schlagfertiger Fachmann in der Gunst der Anleger. Für einen Showeffekt oder ein Apercu war er immer zu haben. Sei es in der Pressekonferenz vor der Veranstaltung, als plötzlich der Rolling-Stones-Klassiker "I can't get no satisfaction" aus seinem Handy brüllte oder als er das Verhältnis zum steifen Chef Löscher von der Bühne herab als Ergänzung von "Licht und Schatten" bezeichnete.

KAESER GLÄNZT - CROMME IM FOKUS DER KRITIK

Die Kritiker dürften vor allem Aufsichtsratschef Gerhard Cromme ins Visier nehmen, dessen abrupte Abkehr von seinem Schützling Löscher viele verstörte. Nachdem der Manager überraschend von seinen Renditezielen abgerückt war, ließ ihn Cromme über Nacht fallen. Sein forsches Vorgehen sorgte für Krach im Aufsichtsrat, der frühere Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann verließ das Gremium im Zwist. Cromme hatte zudem noch Ärger bei ThyssenKrupp, wo er nach teuren Fehlschlägen des Managements unter Druck seinen Posten als Chefkontrolleur räumte.

Einzelne Fondsmanager fordern, der 70-Jährige solle sein Amtserbe bei Siemens jetzt regeln. Allerdings hat ihn auf dem letzten Treffen eine große Mehrheit für weitere fünf Jahre bestellt. Kenner rechnen damit, dass Cromme seinen Kritikern die Stirn bietet.

Im Hintergrund bereitet sich indes die Gründerfamilie offenbar darauf vor, wieder eine stärkere Rolle zu übernehmen. Nathalie von Siemens wird als künftige Vertreterin der Nachfahren im Aufsichtsrat gehandelt, womöglich sogar mit Chancen auf dessen Führung in fernerer Zukunft.

KAESER LÄSST SICH NICHT IN DIE KARTEN SCHAUEN

Geschäftlich blickt Kaeser zwar nicht auf rosige Zahlen, aber immerhin auf stabile. Analysten rechnen damit, dass die Einnahmen im Weihnachtsquartal bei gut 18 Milliarden Euro stagniert haben dürften. Die Konkurrenten ABB und Alstom schreckten ihre Anleger hingegen mit bösen Überraschungen und hohen Sonderlasten. Solche Dinge hat Kaeser weitgehend hinter sich.

Analysten hoffen nun, dass Kaeser etwas von seinen längerfristigen Plänen preisgibt, wie er Siemens auf Rendite trimmen will. Lediglich kleinere Details wie die Stärkung der Landesgesellschaften, Änderungen an der Vorstandsbezahlung und die Ausweitung der Mitarbeiterbeteiligung an Aktienprogrammen sind bekannt. Wie genau Siemens allerdings den Anschluss an Rivalen wie General Electric (GE), dessen operative Rendite fast doppelt so hoch liegt, schaffen könnte, will Kaeser bis Mai für sich behalten. Ab dem neuen Geschäftsjahr 2014/15 im Oktober will er es dann angehen. Der ausgekochte Finanzprofi war klug genug, nicht vorzeitig neue, messbare Ziele auszugeben. An Löschers Beispiel konnte er lernen, wie eine Reihe von gebrochenen Versprechen letztlich endet.

Den vorbelasteten Begriff des Kulturwandels meidet Kaeser, doch darum geht es ihm eigentlich. Die Mitarbeiter sollten sich sicher sein, dass ihnen nicht der Kopf abgerissen wird, wenn sie auf ein Problem hinweisen, sagte er im Herbst. Dabei geht es letztlich um den Gewinn: Zu viel Geld hat Siemens schon durch Schweigen und Wegducken seiner Spezialisten verloren - von der Schmiergeldaffäre bis hin zum verpatzten Anschluss von Windparks in der Nordsee.

Reuters