Schwer abgestraft wurde die Biotech-Branche nach den Boomjahren der Corona-Zeit. Die Aktienkurse vieler Unternehmen gingen auf Talfahrt. Jetzt könnte ein Boden erreicht sein. Bei welchen deutschen Unternehmen Anleger jetzt genauer hinschauen sollten.

Es waren außergewöhnlich starke Jahre: Während andere Branchen zu Corona-Zeiten unter dem wirtschaftlichen Einbruch ächzten, ging es in der Biotechnologie heiß her. Drei Milliarden Euro flossen laut einer Studie der Prüfungs- und Beratungsfirma EY 2020 in den Sektor. 

Ein Jahr später waren es immerhin noch 2,4 Milliarden. Doch dann ging es rapide abwärts. 2022 flossen gerade mal noch etwas mehr als 800 Millionen in die Unternehmen. Im europäischen Vergleich liegen die Zahlen prozentual auf einem ähnlichen Niveau.

Biotech nach dem Corona-Boom

„Die Branche ist nach dem Corona-Boom wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen. Der Hype ist vorüber, die Finanzierungssituation wieder kritisch“, so Klaus Ort, Partner bei EY. 

Trotz der erfolgreichen Entwicklung des Corona-Impfstoffs ist die Bereitschaft, Geld in die Branche zu stecken, wieder abgeebbt. Vor allem auch wegen der gestiegenen Zinsen scheuen sich Investoren, Risikokapital in den Markt zu geben. 

Und doch ist dieser Rückgang nicht so gravierend. Denn noch immer liegen die Gelder, die in den Markt fließen, auf dem Niveau vor Corona. Die Branche hat sich als sehr widerstandsfähig erwiesen. Und einige Firmen sind seit der Pandemie tatsächlich mit deutlich mehr Geld ausgestattet. 

Der Star der letzten Jahre: die BioNTech Aktie

Allen voran das Mainzer Biotechunternehmen Biontech. An ihm wird deutlich wie eng Produktidee, Forschung, Entwicklung, Einführung und Vermarktung von Medikamenten zusammenhängen. Und vor allem mit welch brachialer Wucht ein Erfolg sich auf Umsatz und Ertrag auswirken kann. Sicher wünscht man sich keine nächste Pandemie. Und doch kann dies nicht ausgeschlossen werden. 

Seit dem Verkauf des mRNA-Impfstoffs füllte sich der Kassenbestand auf mittlerweile rund 15 Milliarden Euro. Der Umsatz war im Jahr 2022 mehr als doppelt so hoch wie jener der gesamten Branche in Deutschland. Zwar wird künftig deutlich weniger Impfstoff verkauft. Im ersten Quartal schmolz der Biontech-Gewinn von vormals 3,7 Milliarden auf rund 500 Millionen Euro. Und doch bleibt nun sehr viel mehr Geld übrig, um im eigentlichen Kerngeschäft, der Entwicklung von Wirkstoffen gegen Krebserkrankungen, zu investieren. 

In diesem Jahr will Biontech 2,4 bis 2,6 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung ausgeben. Das wäre rund eine Milliarde mehr als noch im Jahr 2022. Zwei Hoffnungsträger befinden sich bereits in Phase 3, also der letzten klinischen vor einer möglichen Zulassung. Zusammen mit Pfizer entwickelt Biontech BNT161, einen mRNA-Impfstoff zum Schutz vor Influenza, also saisonaler Grippe. 

Zudem startete vor Kurzem mit OncoC4 eine zulassungsrelevante Phase-3-Studie bei metastasiertem, nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom. Weil jedoch ein neuer Blockbuster noch nicht absehbar ist und die Einnahmen mit Covid-Impfstoffen geringer ausfallen, schmolz der Aktienkurs zuletzt auf unter 100 Euro zusammen. Dennoch hat Biontech Trümpfe im Ärmel. Aktuell befinden sich 38 Wirkstoff ein klinischen Phasen. 

Dauerbrenner MorphoSys

Auch der Aktienkurs von MorphoSys ging in den vergangenen Jahren zurück, erlebt aktuell jedoch ein starkes Comeback. Der Titel hat sich seit Jahresbeginn verdoppelt. 

Grund dafür ist die Hoffnung, dass das ebenfalls in der dritten klinischen Phase befindliche Mittel Pelabresib eine Zulassung bekommt. Dabei handelt es sich um einen Wirkstoff gegen eine seltene Form von Blutkrebs. Ihm wird bei grünem Licht ein Milliardenpotenzial zugesprochen. 

Den Experten von EY ist jedenfalls nicht bange um die deutsche Biotech-Branche: Insgesamt würde die Produktpipeline deutscher Unternehmen 145 klinische Studien umfassen. Mehr als die Hälfte befasst sich mit Krebswirkstoffen. 17 davon befänden sich in der dritten klinischen Phase, könnten also mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit schon bald Marktreife erhalten.

Evotec: ein aussichtsreicher Kandidat?

Ein Hackerangriff in diesem Jahr verhagelte die Bilanz von Evotec.

„Die geringere Produktivität während des zweiten Quartals hat unser Finanzergebnis des ersten Halbjahres von 2023 erheblich belastet“, sagte Konzernchef Werner Lanthaler vergangenen Donnerstag.

Für das Gesamtjahr erwartet der Wirkstoff forscher nun einen Umsatz von 750 bis 790 Millionen Euro. Bislang sollten es für das laufende Jahr 820 bis 840 Millionen Euro werden. Beim um Sondereffekte bereinigten Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) sollen nun 60 bis 80 Millionen Euro stehen. Bislang wollte Evotec zwischen 115 und 130 Millionen Euro verdienen. Nach einem Rücksetzer erholte sich der Aktienkurs wieder etwas. Dabei sah es bislang ganz gut aus: Seit dem Jahrestief Ende 2022 ging es wie￾der um mehr als die Hälfte nach oben.

Anfang Juli ergatterte der MDAX-Titel einen Auftrag aus den USA: Für das Pentagon soll die US-Tochter Just-Evotec Biologics Prototypen für ein Medikament gegen Orthopoxviren entwickeln — von der Entdeckung bis zur Durchführung der klinischen Phase 1. Dazu gehören Affen-, aber auch Kuhpockenviren. Der Auftragswert beläuft sich zunächst auf 74 Millionen Dollar. Seit Jahren betreibt Evotec eine datengetriebene und KI-gestützte Technologieplattform, um biotechnologisch produzierte Medikamente flexibel zu entwickeln. Aufträge aus dem Pentagon können, wie zuletzt, zu Folgeaufträgen führen. Mittelfristig bleibt Evotec interessant.

Hohe Kurschancen mit hohem Risiko

Technisch eher angeschlagen ist Medigene. Kontinuierlich verlor der Aktienkurs in den vergangenen Jahren an Wert. Manchmal gibt es allerdings auch Lichtblicke: Der größte ist die Kooperation mit Biontech. Im Februar vergangenen Jahres ging das Plattformunternehmen, das sich auf die Erforschung und Entwicklung von T-Zellen-Immuntherapien für Tumore konzentriert, eine Partnerschaft mit Biontech ein. Die Mainzer erwarben ein neuartiges T-Zellen-Programm sowie die Option, an weiteren Entwicklungen aus der Forschungspipeline zu partizipieren. 

Dafür hat Medigene bereits Vorabzahlungen in Höhe von 26 Millionen Euro sowie die Erstattung der Forschungskosten für die Dauer der Zusammenarbeit erhalten. Dazu könnten Meilensteinzahlungen in Höhe eines bis zu dreistelligen Millionenbetrags kommen. Für Medigene sind solche Kooperationen wichtig, weil noch kein Cashflow erzielt wird. Auch deswegen sackte der Aktienkurs ab. Durch die Kooperation ist die Firma laut eigenen Angaben bis ins vierte Quartal 2024 finanziert. Sollte aus dieser oder aus anderen aussichtsreichen Projekten positive Nach￾richten kommen, kann der Aktienkurs in die Höhe schnellen. Denn an der Börse ist Medigene noch lediglich 45 Millionen Euro wert. Jedoch handelt es sich um ei￾nen sehr spekulativen Wert. Anleger soll￾ten sich darüber im Klaren sein. 

Andere Spannende BioTech Aktien

Spekulativ ist auch die Aktie von 4SC. Früh hatte BÖRSE ONLINE den Titel empfohlen. Zuletzt bei 3,60 Euro in Heft 23/2023. Mittlerweile hat die Aktie unser vorläufiges Kursziel bei zehn Euro erreicht und ist sogar darüber geklettert. Der An￾stieg könnte aber weitergehen. Nämlich dann, wenn das Unternehmen tatsächlich die Zulassung für seinen Wirkstoff Resminostat erhält, ein Mittel, das den Verlauf einer seltenen Krebskrankheit eindämmen kann. Die Marktzulassung ist sowohl in Europa als auch bei der FDA in den USA eingereicht. Wegen der Dringlichkeit wurde sogar die Schnellzulassung beantragt. Kommt das Okay, sind Umsätze von mehreren Hundert Millionen Euro drin. Die Marge ist extrem hoch, sodass der Wert des Unternehmens nochmal deutlich klettern würde. Mit den Brüdern Strüngmann sind kapitalkräftige Investoren an Bord. 

Eine heiße Wette ist auch Heidelberg Pharma: Meist fliegt das Unternehmen unter dem Radar größerer Investoren. Prominenter Hauptaktionär ist hier Dietmar Hopp. Spezialisiert ist die Firma auf Onkologie und entwickelt den Wirkstoff Amanitin, der sich aktuell in der ersten klinischen Phase befindet. Zum Ende des ersten Halbjahres hatte Heidelberg Pharma noch 57 Millionen Euro an liquiden Mitteln und verbrauchte im Schnitt 3,2 Millionen Euro pro Monat in diesem Jahr. Wie bei den anderen Firmen gilt: Kommen positive Studienergebnisse, kann es mit der Aktie wieder nach oben gehen. Allerdings sollten Anleger auch hier etwas Geduld mitbringen.

Dieser Artikel erschien zuerst in der neuen Ausgabe von Börse Online. Hier geht es zur aktuellen Ausgabe.

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Hinweis auf Interessenkonflikte
Der Vorstandsvorsitzende und Mehrheitsinhaber der Herausgeberin Börsenmedien AG, Herr Bernd Förtsch, ist unmittelbar und mittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente oder hierauf bezogene Derivate eingegangen, die von der durch die Publikation etwaig resultierenden Kursentwicklung profitieren können: BioNTech.